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Beurteilung der Toxizität von Chemikalien

Wir wissen, dass Lebewesen - trotz ihrer offensichtlichen Unterschiede - im Wesentlichen gleich sind. Wir lassen unsere Kinder nicht mit Rattengift spielen, weil wir davon ausgehen, dass für Tiere schädliche Substanzen auch für Menschen schädlich sind. Obwohl Tiere und Menschen nicht auf alle Substanzen gleich reagieren, können potentiell schädliche Chemikalien durch

Tierversuche identifiziert und die Menschen somit vor ihren Gefahren geschützt werden. Tierversuche sind ein grundlegendes Werkzeug für die Beurteilung der Toxizität, sind aber nur im Kontext mit den jeweiligen Grenzen der Studien wertvoll. Diese Grenzen müssen zum Schutz von Menschen, Tieren und der Umwelt berücksichtigt und die Untersuchungsmethoden ständig verbessert werden, um die aufschlussreichsten Daten unter Einsatz der geringstmöglichen Zahl von Tieren zu erhalten.

Wann benötigt man Toxizitätsstudien?

Toxikologie ist die Lehre über giftige und schädliche Substanzen. Durch Toxizitätsstudien erfahren wir die Giftigkeit von Chemikalien, die wir benutzen oder denen wir ausgesetzt sind, und erhalten Informationen über das Potential ihrer toxischen Wirkung. Die Versuche geben Auskunft über Industriechemikalien, Pharmazeutika und natürliche Produkte aus Pflanzen, Bakterien und Pilzen. Zu wissen, ob eine Chemikalie Krebs, allergische Reaktionen oder Fehlbildungen bei ungeborenen Kindern verursacht, ist wichtig für die Gesundheit der Menschheit. Der Prozess, der zur Enthüllung dieser Informationen dient, nennt sich Beurteilung des Gefahrenpotentials.

Die überwiegende Mehrheit der Toxizitätsstudien an Tieren wird für pharmazeutische Produkte durchgeführt, aber es werden auch andere Produkte getestet, die Gefahrenpotential für Mensch, Tier und Umwelt besitzen. Haushaltsprodukte werden nur selten an Tieren getestet, es sei denn es besteht ein besonderer Grund dafür: Ein Unkrautvernichter zum Beispiel, auf dem 'Gefahrlos für Haustiere' steht, muss natürlich dementsprechend an Tieren ausprobiert worden sein. Die verschiedenen chemischen Inhaltsstoffe aller Haushaltsprodukte wurden allerdings auf ihre Toxizität geprüft und dabei eventuell auch an Tieren getestet.

Eine einzelne chemische Substanz kann für verschiedene Zwecke genutzt werden und es ist gesetzlich vorgesehen, dass alle neuen Chemikalien getestet werden müssen, um ihr Gefahrenpotential für Mensch, Tier und Umwelt beurteilen zu können, bevor sie in der Produktion zum Einsatz kommen.

Die REACH-Verordnung sieht auch vor, dass für bereits verwendete Chemikalien, die seinerzeit nicht entsprechend den heutigen Anforderungen überprüft wurden, aktualisierte Toxizitätsstudien erforderlich sind. Importeure und Hersteller dieser Chemikalien müssen heutzutage die notwendigen Daten zu deren Gefahrenpotential bereitstellen und eventuell erforderliche Sicherheitstests durchführen.

Toxische Potenz

Toxizitätsstudien stellen nicht nur fest, ob eine Chemikalie potentiell schädigend ist, sondern auch wie potent ihre toxische Wirkung ist. Eine Substanz, die die Bedeutung dieser Potenz gut illustriert, ist Vitamin A. Eine geringe Dosis dieses Vitamins ist essenziell für die Entwicklung, aber bereits eine fünffach höhere Dosis verursacht Fehlbildungen der Augen eines Kindes.

Die Beurteilung der Potenz ist ein wichtiger Aspekt der Toxikologie, denn die krebserregende Dosis des potenzstärksten Karzinogenes ist eine Million Mal geringer als die des potenzschwächsten Karzinogenes. Dioxine und andere Chemikalien können schon bei Konzentrationen, die zehn oder einhundert Millionen Mal geringer sind, als bei synthetischen Karzinogenen, Krebs erzeugen. Ohne die Potenz zu kennen, wäre es unmöglich herauszufinden, ab welcher Expositionsintensität eine Substanz schädlich ist.

Beurteilung des Risikos ist die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung bei Exposition gegenüber einer Chemikalie und stellt einen weiteren wichtigen Aspekt der Toxikologie dar. Zur Beurteilung des Risikos müssen die Art der Toxizität (das toxische Gefahrenpotential) und die Dosis, bei der die Wirkung auftritt (die toxische Potenz) bekannt sein. Dies geschieht im Vergleich zu einer Chemikalie, der Menschen tatsächlich ausgesetzt sind. Zusammenfassend: Eine Chemikalie kann gefährlich sein, aber wenn die verwendeten Mengen klein sind, könnte das Risiko einer Vergiftung gering oder sogar nicht existent sein.

Gesundheitsschutz der Arbeiter

Chemikalien ausgesetzte Arbeiter werden geschützt, indem der Grad der Exposition unter dem Grenzwert gehalten wird, der für jede toxische Chemikalie festgelegt wird. Dieser Grenzwert ist als der Occupational Exposure Standard (OES) – Arbeitsplatzgrenzwert - bekannt und bezieht sich auf die Konzentration der Chemikalie in der Luft, die zum Schutz der Personen vor der toxischen Wirkung nicht überschritten werden darf. In den meisten Fällen wird der OES durch Toxizitätsstudien an Tieren bestimmt.

Die Zahl der Gesundheitsschäden durch chemische Exposition am Arbeitsplatz ist über die Jahre bedeutend zurückgegangen, was zweifelsohne der Erstellung und Durchsetzung der angemessenen OES zu verdanken ist. Der verbesserte Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz wird oft der ‚größeren Vorsicht der Arbeitgeber bezüglich der Exposition der Mitarbeiter‘ zugeschrieben, aber um Angestellten diesen standardmäßigen Schutz vor übermäßiger Exposition bieten zu können, müssen die OES bekannt sein.

Zum Beispiel ist Phosgen ein toxisches Gas, das für Menschen tödlich ist. Es gibt keine systematischen Daten bezüglich Schutz und Exposition beim Menschen, aber ein sicherer Grad der Exposition ist unabdingbar, um Leben zu schützen. Der OES stützt sich in diesem Fall auf Ergebnisse von Tierversuchen und wurde auf 0,08 mg/m3 in der Luft¹festgelegt. Dieser OES hat sich bei seiner Anwendung als wirksamer Kontrollstandard bestätigt.

Auch bei Chlorodiflourmethan gibt es keine ausreichenden Humandaten, um einen sicheren Standard für die Expositionen zu bestimmen, aber anhand der Ergebnisse von Tierversuchen legte das Amt für Gesundheit und Sicherheit den OES hier bei 2590 mg/m3 fest. Dieser Expositionsgrad hat sich als sicher bestätigt, obwohl er 4.500 Mal höher liegt als bei Phosgen. Diese Beispiele beweisen, dass konkrete Daten unverzichtbar sind. Nur durch allgemeine Verbesserungen des Schutzes am Arbeitsplatz wäre es unwahrscheinlich, dass menschliche Leben ausreichend vor den Auswirkungen dieser beiden verschiedenen Chemikalien geschützt wären.

Ähnliche Argumente sind auch bei der Entwicklung von Medikamenten, in der Grundlagenforschung und in anderen Bereichen, für die Tierstudien wertvoll sind, gültig.

Beurteilung des Gefahrenpotentials

Bei allen verfügbaren Methoden zur Beurteilung des Gefahrenpotentials existieren Probleme bezüglich der Interpretation, Präzision und Reproduzierbarkeit. Diese gelten auch für besondere Umstände. Die Grenzen einer bestimmten Methode zur Beurteilung des Gefahrenpotentials zu verstehen, erhöht den Wert einer Untersuchung, da diese effektiver genutzt werden kann.

Die Grenzen jeglicher Tierversuche müssen genau verstanden werden, um eine gültige Beurteilung des Gefahrenpotentials abgeben zu können – oftmals der erste Schritt bei der Untersuchung des potentiellen Schadens, den eine bestimmte Chemikalie verursachen könnte. Die Tatsache, dass eine bestimmte Chemikalie eine gewisse Art der Toxizität sowohl beim Tiermodell als auch beim Menschen hervorruft ist oft ein Indiz für die Validität der Tierversuche. Jeder einzelne Tiertest ist nur für die Beurteilung bestimmter Gefahrentypen gültig und es ist Teil der Aufgabe des Toxikologen, dies bei der Beurteilung von Chemikalien zu berücksichtigen.

Das folgende Beispiel illustriert, wie Tierstudien Information zum Gefahrenpotential einer Substanz bereitstellen kann.

Manche Chemikalien können Allergien hervorrufen, die sich durch Hautreaktionen oder Asthmaanfälle äußern. Eine solche Reaktion wird als schwerwiegende Auswirkung klassifiziert, da eine Person, die einmal für eine Chemikalie sensibilisiert ist, dies wahrscheinlich immer sein wird und ihre Reaktion lebensbedrohlich sein kann. Die ausreichende Dosis einer Substanz, um eine allergische Reaktion hervorzurufen kann sehr niedrig sein. Die Gesundheit einer allergischen Person zu schützen kann also sehr schwierig sein (zum Beispiel bei einer Erdnuss-Allergie).

Heutzutage wird der Local Lymph Node Assay (LLNA) - ein lokaler Lymphknotentest - durchgeführt, um herauszufinden, ob Chemikalien Kontaktsensibilatoren sind. Dieser Test wurde in der EU im Jahr 2004 eingeführt und stellt eine Weiterentwicklung früherer Sensibilisierungsproben der Haut dar. Es ist ein weniger aggressives Verfahren, bei dem weniger Tiere eingesetzt werden. Für diesen In Vivo - Test werden Mäuse verwendet und er wurde mit bekannten menschlichen Allergenen validiert. In einem Bericht über die Methode lautet es wie folgt:

"Die Untersuchungen beweisen, dass der LLNA-Test geeignet ist, um quantitative Schätzungen der EC3-Werte zur relativen Potenz der Hautsensibilisierung, die den NOEL (No Observed Effect Levels) aus wiederholten Patch-Tests am Menschen und unserer klinischen Erfahrung nahekommen, abzugeben".²

Das bedeutet, dass die Messung der Potenz im LLNA-Test (EC3) stark mit der Messung der Potenz beim Menschen korreliert. Das ist ein klarer experimenteller Beweis dafür, dass die LLNA-Methode bei Mäusen auf Tests von Chemikalien auf menschliche Allergenität übertragbar ist. Trotzdem ist auch dieser Test nicht dazu im Stande, einige bestimmte menschliche Allergene zu identifizieren, wie zum Beispiel Nickel. Das hat natürlich seine Gründe. Aber trotzdem gibt es keine andere Methode, weder In Vivo noch In Vitro, die menschliche Reaktionen besser voraussagt, als diese.³

Die wirklich wertvollen Tiermodelle für menschliche Konditionen sind die, deren Grenzen bekannt und bestätigt sind und somit berücksichtigt werden können. Diese Grenzen müssen verstanden werden, bevor man die Ergebnisse dazu verwenden kann, die wahrscheinlichen Auswirkungen auf den Menschen vorherzusagen. In vielen Fällen, allerdings nicht in allen, liefern die Ergebnisse von Toxizitätsstudien wertvolle Informationen zur Beurteilung der möglichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die man über keine andere Quelle erhalten könnte.

Beurteilung des Risikos

Der Prozess der Beurteilung des Risikos muss unbedingt verstanden worden sein, um ein Urteil über die Anwendbarkeit der aus Toxizitätsstudien an Tieren erhaltenen Daten zu fällen. Die Beurteilung des Risikos hilft dabei, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein zu kontrollierendes Risiko besteht. Ist ein Risiko sehr klein, muss es eventuell nicht kontrolliert werden. Sollte ein Risiko aber bedeutungsvoll sein, sind entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Die Methoden, die Wissenschaftlern zur Verfügung stehen, sind weit von der Perfektion entfernt und im Endeffekt liefern korrekt durchgeführte Humanstudien die wertvollsten Informationen für die Beurteilung des bestehenden Risikos für den Menschen. Die Beurteilung von Risiken ausschließlich mit Hilfe epidemiologischer Studien werfen allerdings auch Probleme auf. Die zu untersuchenden Auswirkungen könnten so selten auftreten, dass sie in der Studienpopulation nicht beobachtet werden können, oder es könnten zum Zeitpunkt der Exposition nur unzureichende Informationen zur Verfügung stehen.

Humanstudien sind schwierig auszuführen und können bei schweren Krankheiten oder Medikamenten, deren Entwicklung Jahre dauert, nicht als einzige Methode zur Beurteilung des Risikos für den Menschen angewendet werden. Außerdem wäre es rein ethisch unvertretbar, Menschen bestimmten unzureichend getesteten Chemikalien auszusetzen und abzuwarten, ob sich toxische Wirkungen einstellen. Aus diesem Grund wurde die REACH-Verordnung erlassen, die die zulässigen Konzentrationen bereits vorhandener Chemikalien in der Atmosphäre reguliert. Wenn neue Chemikalien eingeführt werden oder wenn ernsthafte toxische Nebeneffekte auftreten, ist eine Beurteilung der Risiken durch Tierstudien unverzichtbar, um Erkrankungen beim Menschen durch die Exposition zu vermeiden.

Einbeziehung der Unterschiede bezüglich der Anfälligkeit

Es gibt Unterschiede in Bezug auf die Anfälligkeit für Risiken sowohl zwischen Menschen als auch zwischen Mensch und Tier. Die zur Beurteilung der Risiken angewendeten Methoden müssen diese Unterschiede in Betracht ziehen.

Zulässige oder 'sichere' Dosen von Chemikalien sind normalerweise die Dosen, die bei Tierstudien keine toxischen Auswirkungen gezeigt haben (bekannt als Not Averse Effect Level). Diese Dosis wird dann durch einen 'Sicherheitsfaktor' dividiert, der meist 100 beträgt: der Faktor 10, um die Unterschiede zwischen Mensch und Tier in die Rechnung einzubeziehen und ein weiterer Faktor 10, um der unterschiedlichen Anfälligkeit einzelner Individuen gerecht zu werden. Durch den Sicherheitsfaktor ergibt sich eine Dosis mit geringer Wahrscheinlichkeit, eine toxische Wirkung beim Menschen auszulösen. Dieses System bewährt sich bereits seit vielen Jahren bei der Bestimmung von Sicherheitsstandards und Grenzwerten. Es ist ein willkürliches System, das sich aber bereits über lange Zeit hinweg behauptet hat. Diese Art der Berechnung ist ungeachtet dessen notwendig, ob die Sicherheitstests an Tieren oder unter Einsatz anderer Methoden durchgeführt werden.

Die Erforschung der beiden Faktoren ergab, dass der Sicherheitsfaktor, der die individuellen Unterschiede zwischen Menschen in Betracht zieht, durchaus angemessen ist, um die verschiedenen Anfälligkeitsgrade bei der Mehrheit der Bevölkerung zu berücksichtigen.³

Die Forschungsarbeit zu den Unterschieden zwischen Mensch und Tier sind weniger weit fortgeschritten. Verschiedene Studien ergaben, dass eine Komponente des Faktors zu gering bemessen sein könnte und man diesen Wert eventuell erhöhen sollte, um die Unterschiede zwischen Mensch und Tier korrekter widerzuspiegeln.4,5 Des Weiteren bräuchte man zusätzliche Faktoren, um die Beurteilung der Risiken für Säuglinge und Kinder zu verbessern.

Tierstudien sind ein grundlegendes Werkzeug für die Beurteilung der Toxizität, sind aber nur innerhalb der natürlichen Grenzen der jeweiligen Untersuchungen wertvoll. Diese Grenzen müssen zum Schutz der Menschen, Tiere und Umwelt berücksichtigt und die Untersuchungsmethoden ständig verbessert werden, um die aufschlussreichsten Daten unter Einsatz der geringstmöglichen Zahl von Tieren zu erhalten.


Quellen

  1. Gerbick GF, Robinson MK, Ryan CA, Dearman RJ. Kimber I, Basketter DA, Wright Z and Marks JG. (2001) Contact Allergenic Potency: Correlation of Human and Local Lymph Node Assay Data. American journal of contact Dermatitis, 12, 156-161.
  2. ECETOC (2000) Skin Sensitisation Testing for the Purpose of Hazard Identification and Risk Assessment. European Centre for Ecotoxicology and Toxicology of Chemicals, Brussels. Monograph No 29.
  3. HSE (2000). Guidance note EH40/00 "Occupational Exposure Limits" ISBN 0 7176 1730 0, Health and Safety Executive, Rose Court, London.
  4. Dorne, J. L., Walton, K., and Renwick, A. G. (2001). Human variability in glucuronidation in relation to uncertainty factors for risk assessment. Food Chem. Toxicol. 39, 1153–1173.
  5. Walton, K., Dorne, J. L., and Renwick, A. G. (2001). Uncertainty factors for chemical risk assessment: Interspecies differences in glucuronidation. Food Chem. Toxicol. 39, 1175–1190.[Medline]
  6. Walton, K., Dorne, J. L., and Renwick, A. G. (2001). Categorical default factors for interspecies differences in the major routes of xenobiotic elimination. Hum. Ecol. Risk Assess. 7, 181–201.
  7. Renwick, A. G., Dorne, J. L., and Walton, K. (2000). An analysis of the need for an additional uncertainty factor for infants and children. Regul. Toxicol. Pharmacol. 31, 286–296.


Last edited: 28 August 2014 13:43

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